03. September 2012

Vernachlässigte Krankheiten

Hilfe für Chagas-Patienten in Monteagudo / Bolivien

Bolivien ist kein Schwerpunktland der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, obwohl die Arbeit dort ein Abbild der weltweiten Hilfe darstellt: Allein im Hospital von Monteagudo werden Lepra, Tuberkulose und vernachlässigte Tropenkrankheiten behandelt. Krankheiten der Armut, denn Bolivien ist das Armenhaus Südamerikas und die Provinz Chuquisaca eine der ärmsten überhaupt.

Seit der Gründung des Hospitals 1965 unterstützt die DAHW die dortige Arbeit – zunächst mit dem Schwerpunkt Lepra und Hautkrankheiten. Wie in vielen anderen Ländern gab es auch hier viele Patienten, bei denen Lepra vermutet wurde – die aber an Hautkrankheiten litten, deren Symptome denen der Lepra ähnlich waren. Heute hat das dermatologische Krankenhaus den Status einer Exzellenzklinik für die fast 100.000 Einwohner des Regierungsbezirks. Zugleich ist es aber auch nationales Referenzzentrum für Hautkrankheiten sowie Lepra. Der DAHW-Mediziner Dr. Abundio Baptista kommt mehrmals im Jahr aus der Provinzhauptstadt Sucre, um hier medizinisches Personal auszubilden. Jedes Jahr gibt es in Bolivien rund 150 neue Leprafälle.

Doch mehr Sorgen machen dem Arzt die anderen, fast schon vergessenen Krankheiten: Leishmaniose beispielsweise ist hier weit verbreitet. Die Krankheit führt zwar selten zum Tode, oft aber zu schmerzhaften und entstellenden Geschwüren auf der Haut und wird durch Moskitos übertragen, genauso wie Elephantiasis. Auch diese Patienten leiden unter schmerzhaften Schwellungen, die der Krankheit auch ihren Namen gegeben haben.

Dr. Apocada untersucht Patienten am Straßenrand. Oft warten sie dort auf ihn, weil sie genau wissen, dass er nicht vorbei fährt.

Und dann gibt es noch Chagas – die Krankheit, die nur in Lateinamerika vorkommt und nirgendwo so häufig wie in der Region um Monteagudo. Mehr als 90 % aller Menschen dieser Region sind mit dem Erreger infiziert, der durch eine Raubwanze übertragen wird. „Chagas ist das Synonym für eine Armutskrankheit“, weiß Prof. Dr. med. August Stich, Vorstandsmitglied der DAHW und Chefarzt der Tropenmedizin des Missionsärztlichen Instituts Würzburg. Allein in Bolivien erkranken jedes Jahr rund 50.000 Menschen an Chagas, mehr als 15.000 sterben jährlich daran.

Die Wanzen, die hier „Vinchucas“ heißen, leben in den armseligen Hütten ihrer Opfer. Ursprünglich stand nämlich nicht der Mensch auf dem Speiseplan der Blutsauger, sondern das Nutzvieh in den Ställen. Jede Nacht kriechen die Vinchucas aus den Ritzen der unverputzten Mauern und suchen sich ihre Opfer. Weil die meisten Menschen in armen ländlichen Regionen mit ihrem Vieh unter einem Dach leben, sind hier besonders viele Menschen betroffen. Gerade die armseligen Hütten dieser armen Region bieten den nachtaktiven Wanzen ideale Lebensräume: Tagsüber verstecken sich die Vinchucas in den vielen Spalten der Steine oder Holzbretter und in der Nacht schlafen Großfamilie und Vieh in der Hütte wie auf einem für die Wanzen gedeckten Tisch.

Das Problem: Nicht der Saugrüssel, sondern der Kot der Wanze überträgt den Erreger, der darin sogar mehrere Jahre überleben kann. Als Folge gibt es auch weitere Infektionswege, von denen bislang allerdings nur wenige bekannt sind, so Tropenmediziner Stich: „Schwangere übertragen die Erreger auf ihre ungeborenen Kinder, Mütter mit ihrer Milch auf ihre Säuglinge, das ist ebenso gesichert wie die Übertragung durch ungenügend kontrollierte Blutkonserven. Darüber hinaus gibt es die Übertragung durch kontaminierte Lebensmittel oder weitere Infektionswege, die uns zwar möglich erscheinen, für deren Erforschung es aber bislang keine Mittel gibt.“

Monteagudo liegt fern der Großstädte im armen Süden Boliviens.

Eine Behandlung ist nur in den ersten beiden der insgesamt vier Stadien der Erkrankung möglich. „Das bedeutet für uns, das medizinische Personal vor Ort intensiv zu schulen“, sagt der medizinische Berater des DAHW-Vorstands: „Je früher die Krankheit diagnostiziert wird, um so größer ist die Aussicht auf einen Erfolg der Therapie. In den späteren Stadien ist die Krankheit nach heutigem Stand nicht heilbar.“

Im Dezember 2011 war Professor Stich in Monteagudo, um der Chagas-Krankheit näher auf den Grund zu gehen. Besonders die Suche nach einer funktionierenden Vorbeugung gegen die Krankheit interessiert den Mediziner aus Würzburg. Von einem Impfstoff kann er derzeit allerdings nur träumen, denn an den immensen Kosten für dessen Entwicklung kann sich der bolivianische Staat nicht beteiligen. Diejenigen, die es könnten, wollen nicht. Wie bei anderen Krankheiten der Armut können die Patienten ihre Medikamente nicht selbst bezahlen. Forschungsmittel wären hier also keine ökonomische Investition, sondern eine in die dort lebenden Menschen.


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