20. März 2024

„Ich dachte, ich muss sterben!“ Einblicke in eine Tuberkulose-Station in Nigeria

Informationsveranstaltung im Annunciation-Krankenhaus im nigerianischen Enugu: „Vor uns Erkrankten hat man normalerweise große Angst.“ (Foto: DAHW / Toby Nwafor)

Schwester Virginia Okolo ist der gute Geist der Tuberkulose-Patient:innen im nigerianischen Enugu. RedAid Nigeria, eine Partnerorganisation der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, unterstützt nicht nur ihr engagiertes Handeln zum Wohle der Patient:innen, sondern fördert auch entsprechende Schulungen des klinischen Personals.

Enugu / Würzburg, 24.03.2024: Schwester Virginia Okolo ist im Annunciation-Krankenhaus in Enugu auf dem Weg zur Tuberkulose-Station. Unterwegs trifft sie die Pflegedienstleiterin Edith Egbuogu. Sie hat 26 Jahre in Deutschland gelebt, mit Stationen in Freiburg, Bad Kreuznach und Rheinbach bei Bonn. 2016 wurde sie von der Kongregation in ihr Heimatland Nigeria zurückgeschickt. Edith Egbuogu kennt die Unterschiede in der Patientenversorgung beider Länder: „Hier in Nigeria gibt es, wenn überhaupt, nur eine ganz minimale Krankenversicherung, die sich nur die Reichen leisten können“, erklärt sie. „Die wenigsten können ihre medizinischen Untersuchungen selbst bezahlen, da muss dann schon die ganze Familie zusammenlegen.“

Schwester Virginia ist inzwischen auf der Tuberkulose-Station angekommen. Mehr als dreißig Patient:innen warten dort auf ihren Beistand. Es sind die Ärmsten der Armen, die sich mit Tuberkulose infiziert haben. Allein schon die Fahrt zum Krankenhaus ist aufwendig und teuer. Sie kostet eigentlich nur ein paar Naira, aber für viele ist selbst das unerschwinglich.

„Wir nehmen auch Patient:innen auf, die kein Geld haben“, sagt Verwaltungsleiterin Onyia Ifeomachukwu. Sie selbst wurde in einer Missionsschule erzogen. „Mir gefiel, wie die Lehrerinnen Mädchen behandelten, sie ermutigten, ihren Weg zu gehen und sich nicht beirren zu lassen“, sagt die Nigerianerin. „Sollte ich einmal wiedergeboren werden, würde ich diesen Weg erneut gehen. Ich liebe meinen Job.“

Unterstützt wird das Annunciation-Krankenhaus von RedAid Nigeria, einer Partnerorganisation der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe mit Sitz in Würzburg. „Immer noch warten Tuberkulose-Betroffene zu lange, bis sie medizinische Hilfe aufsuchen, auch, weil sie aufgrund fehlenden Wissens falsche Krankheitsursachen vermuten“, sagt Dr. Okechukwu Ezeakile von RedAid Nigeria. „In einem integrierten Projekt setzen wir daher vor allem auf die optimierte Fallfindung, ein verbessertes Fallmanagement, auf Prävention der Familienmitglieder und eine verstärkte Nachsorge.“ Durch die zielgerichtete Aus- und Weiterbildung von Gesundheitspersonal werden Lücken in der Tuberkulose-Bekämpfung geschlossen. „Wir hoffen, mit dieser Strategie die Krankheit langfristig in den Griff zu bekommen.“

In Enugu werden Patientinnen wie Odinaka Ani behandelt. Sie konnte kaum mehr aufrecht gehen. Ständig war ihr schlecht, sie musste sich täglich mehrmals übergeben. Und sie verlor ihre Arbeit als Verkäuferin – das war das Schlimmste für die Mutter von vier Kindern. Auf ihren Mann kann sie nicht mehr zählen: Als sie immer schwächer wurde, verließ er sie. Nun passen ihre Eltern auf die Kinder auf, aber das ist auch nur eine Zwischenlösung. Manchmal lähmt sie die Angst, nachts kann sie nicht schlafen, ihre Gedanken kreisen: Was wird aus ihr und den Kindern werden?

Odinaka Ani suchte verschiedene Krankenhäuser auf, wurde immer wieder fortgeschickt, bekam nie eine Diagnose. Das Annunciation-Krankenhaus ist das erste, das ihr Hoffnung auf Genesung gibt. Durch einen positiven Speicheltest hat man dort schnell ihre Tuberkulose-Erkrankung entdeckt, täglich nimmt sie Tabletten ein. Oft bekommen sie ihr nicht, doch sie muss sechs Monate kämpfen. Für ihre Genesung, gegen die Übelkeit. Dann, so erklärt es ihr Schwester Virginia, ist sie geheilt. Die 37-Jährige hat fest vor, durchzuhalten. Dann wird sie auch wieder einen Job bekommen und ihren Kindern eine Zukunft bieten können.

Der lange Weg zur Genesung

Einer anderen Patientin laufen Tränen über die Wangen, als sie Schwester Virginia ihre Leidensgeschichte erzählt. Alles begann mit einem schlimmen Husten, der sie über Monate hinweg weder schlafen noch arbeiten ließ. Die Mitarbeiter der Krankenstation in ihrem Dorf untersuchten sie, konnten aber nicht feststellen, was ihr fehlt. Als letzten Ausweg sah sie Virginia Okolo: Nachbarn hatten ihr von der engagierten Krankenschwester erzählt, vielleicht könne sie ihr ja helfen.

„Als mir Schwester Virginia mitteilte, dass ich an Tuberkulose erkrankt sei, dachte ich, ich sterbe“, erzählt die 46-Jährige unter Tränen. Wie sollte sie das nur ihrer Familie zuhause beibringen? Tag und Nacht grübelte die Lehrerin, die anonym bleiben will, wo sie sich angesteckt haben könnte. „Bis heute weiß ich es nicht.“ Das Beruhigende ist, dass sie ihre Arbeit nicht verliert. „Ich kann wieder als Lehrerin arbeiten, sobald ich die Therapie hinter mir habe.“ Nach einem Monat Tabletteneinnahme fühlt sie sich schon viel besser. Einen langen Weg hat sie noch vor sich, den sie tapfer bis zu ihrer Genesung gehen will. Das hat sie sich fest vorgenommen.

Patient Peter Okanya dachte zuerst an Malaria, dann an Diabetes. „Ich fühlte mich so schlecht“, sagt der 54-Jährige. „Schwester Virginia hörte mich husten und wusste sofort, was los ist.“ Die Speichel-, Blut- und Lungentests bestätigten die Krankheit. „Ich war geschockt, aber zugleich auch sehr erleichtert. Endlich war diese schreckliche Ungewissheit, die mich so lange plagte, vorbei.“ Er blickt an sich herab: „Ich wog nur noch 52 Kilo. Es war höchste Zeit, dass etwas geschieht.“ Sein Job als Labormitarbeiter ist nun weg. „Als mein Chef hörte, dass ich an Tuberkulose erkrankt bin, hat er gesagt, dass ich gehen soll. Ich glaube, er hatte Angst, sich bei mir anzustecken.“ Peter Okanya zuckt mit den Schultern, er hegt keinen Groll. Zum Glück fielen alle Tests bei seiner Familie negativ aus. „Trotzdem leiden sie mit mir und zeigen große Anteilnahme.“

Peter Okanya weiß, dass er Glück hat, denn viele andere Tuberkulose-Patient:innen wurden verstoßen. „Vor uns Erkrankten hat man normalerweise große Angst“, betont er. Seine Frau hat inzwischen Arbeit gefunden, auch Freunde unterstützen ihn finanziell. So kommt er durch, irgendwie. Noch einen Monat dauert die Therapie. „Das schaffe ich“, sagt er und hält den Daumen hoch.

Schulungen für das Gesundheitspersonal

„Fast alle meiner Patient:innen sind arm. Die wenigsten haben einen Job. Doch unser Tuberkulose-Programm ist kostenlos, das gilt auch für die Röntgenbilder“, sagt Schwester Virginia. RedAid Nigeria bietet für das Gesundheitspersonal Schulungen an, auch, was das Zusammenspiel von HIV/Aids und Tuberkulose angeht. „Unsere Patienten mit HIV/Aids haben generell ein sehr schwaches Immunsystem. Eine zusätzliche Tuberkulose-Erkrankung ist in diesen Fällen fatal“, erklärt Schwester Virginia.

Manchmal steckt die Schwester ihren Patient:innen ein paar Naira zu, damit sie ihren Speisezettel gesünder gestalten oder den Transport mit Bus oder Sammeltaxi ins Krankenhaus ermöglichen können. „Dafür erwarte ich nichts, mir geht es einzig und allein darum, dass sich meine Patient:innen wohlfühlen.“ Mittlerweile ist Schwester Virginia so bekannt, dass die Betroffenen auch hustende Freunde und Nachbarn mitbringen. „Wir nehmen alle auf und versuchen, sie zu heilen“, bekräftigt Schwester Virginia. Dann ruft sie die nächste Patientin herein.


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