21. März 2019

Mit Geschichten im Kopf nach Hause

Husain ist an Tuberkulose erkrankt. Wochenlang wird er im Krankenhaus von Yakowlong behandelt.

Ein DAHW-Kollege besucht Patienten am Hindukusch

Einfach ist es nicht, nach Yakowlong in Afghanistan zu gelangen. Eigentlich liegt der kleine Ort nur fünf Fahrstunden von Kabul entfernt. Normalerweise. Doch nicht jetzt und auch nicht in absehbarer Zeit. Kurz hinter Kabul und entlang der Straße kontrollieren die Taliban alles, was vorbeikommt. Moderne Wegelagerer? Wohl kaum. Denn die Autofahrt ins Zentralgebirge sei für Jürgen Ehrmann lebensgefährlich. Das sagt Jawad A. von LEPCO (eine Abkürzung von "Leprosy Control"), der afghanischen Partnerorganisation der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. Er hat dem deutschen DAHW-Mitarbeiter von der Autofahrt abgeraten. Der Afghane muss es wissen. Denn seine Heimatregion ist das Hazarajat, genau die Gegend, die Ehrmann für die DAHW besuchen will. Sein Ziel ist diesmal das kleine Krankenhaus von Yakowlong.

Kollege Jawad A. hat sich um Flüge nach Bamiyan gekümmert. Die anschließende Autofahrt führt beide an den traurigen Resten der Buddha-Figuren vorbei, die 2001 von den Taliban gesprengt wurden. Einer zerstörerischen Kraft, unter deren Auswirkungen das Land überall leidet. Doch hier, in Bamiyan, gibt es zumindest ein wenig Hoffnung: Ein Team aus Japan kümmert sich um die längst fällige Restauration.

Afghanische Gastfreundschaft für den Fremden: Der Tisch ist reich gedeckt

Zwei Stunden später: Ankunft am Krankenhaus von Yakowlong. Das Personal wartet schon auf den Gast aus Deutschland. Es wird dunkel, und im Haus ist der Tisch gedeckt. Die Teller und Töpfe stehen auf einer sauberen Plastikdecke auf dem Boden. Gegessen wird im Schneidersitz. Der Holzofen gibt wohlige Wärme ab. Danach wird geredet. Sehr lange. Ehrmann, stellvertretender DAHW-Geschäftsführer, bekommt die Informationen, die er möchte. Morgen will er Patienten sehen und mit ihnen reden.

Die sternenklare Nacht draußen ist kalt. Ein paar Patienten huschen vorbei. Sie holen sich ihr Essen direkt aus der Küche ab, so wie jeden Morgen, Mittag und Abend. Der Austausch mit den afghanischen Kollegen ist für Ehrmann wichtig. „Selbst sehen, wie alles läuft“, ist seine Devise. Denn hier vertritt er ein Konsortium, dem neben der DAHW auch Caritas international, Caritas Luxemburg und Misereor/Katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (KZE) angehören. Und auch diesem wird er berichten:

Von den Schwierigkeiten des Personals, zu den Patienten in die entfernten Bergdörfer zu gelangen. Davon, dass Lepra-Patienten immer noch stigmatisiert werden und Familien ihre erkrankten Angehörigen oft sogar nicht mehr aufnehmen wollen. Und dass die Gesundheitshelfer lieber nicht die Wörter „Lepra“ und „Tuberkulose“ aussprechen, um niemanden in den Dörfern zu verschrecken und um nicht abgewiesen zu werden.

Gespräche mit Kollegen und Patienten vor Ort

Leise erzählt Mohammed K. von den Ängsten, die er hat, wenn er unterwegs ist. Und davon, dass sie keine Unterlagen mitführen, die sie als LEPCO-Mitarbeiter identifizieren könnten. Niemals! Denn er und seine Kollegen werden von den Taliban mit dem Tod bedroht. Wie andere auch, die für Hilfsorganisationen arbeiten. Und wenn sie trotzdem mal auf dem Landweg nach Kabul reisen müssen, sagen sie es niemanden. Je weniger davon wissen, umso besser.

Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die DAHW schon mit der afghanischen Nichtregierungsorganisation LEPCO zusammen. Letztere wurde in den 1980er Jahren von der deutschen Lepraärztin und Ordensfrau Dr. Ruth Pfau gegründet. Bis jetzt steht hinter der Organisation eine Erfolgsgeschichte, der auch die Mudschaheddin, die Taliban und die marodierenden Banden nichts anhaben konnten.

Am nächsten Tag lernt der Diplomkaufmann aus Baden Württemberg die Patienten kennen: Fatima ist bereits seit vier Wochen vor Ort. Die Tuberkulose (TB), die sie quält, wird behandelt. Die 48-jährige Witwe fühle sich nur langsam besser, aber die regelmäßigen Besuche ihrer Tochter seien für sie ein Hoffnungsschimmer.

Diesen haben andere Patienten nicht: Zum Beispiel der alte Husain, der aus dem Iran kommt. Er wollte nur eines: Zurück nach Hause, in ein Land, das nun durch den Krieg zerstört ist. Doch er fühlte diesen Ruf der Heimat, sagt er, besonders als er nicht mehr arbeiten konnte. Die TB hat seine Lunge zerfressen. Ob er je wieder gesund wird, ist fraglich. Er liegt mit Hose und Pullover im Klinikbett, das ist alles, was ihm von seiner Odyssee zurück nach Afghanistan geblieben ist. Wie es weitergeht? Der 66-Jährige zuckt mit den Schultern: „Inschallah, so Gott will!“

Krankheiten, Krieg und Mörder

Die junge Laila hat den Tod ihres Vaters vor kurzem erleben müssen. Er starb an der nicht behandelten Tuberkulose. In der Klinik wurde die Krankheit auch bei der 18-Jährigen festgestellt. Sie sagt nicht viel, nur, dass schon viele in ihrer Familie gestorben sind. Ehrmann hört dem Übersetzer zu, fragt nach. Doch die junge Frau wird ihm nicht erzählen, ob es Krankheiten waren, der Krieg oder die Mörder, die kommen, töten und wieder verschwinden.

All diese Geschichten hat der heute 63-Jährige im Kopf, als er mit der alten Antonow An-24 nach Kabul zurückfliegt. Er blickt aus dem kleinen Fenster auf die dröhnenden, zerbeulten Triebwerke. Und auf die zerstörten Statuen in der Ferne. Und er wird zuhause von den Menschen berichten, die er getroffen hat. Und darüber, dass auch eine weitere Unterstützung bitter nötig ist.


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