22. März 2023

Stigma und Schweigen: In Pakistan unterstützt die DAHW Frauen und Mädchen, die von Tuberkulose besonders betroffen sind

Pakistanische Frauen in dem von der DAHW unterstützten Krankenhaus in Rawalpindi (Foto: Sabine Ludwig)

Es sind keine leichten Zeiten für Pakistan. Das Land hat immer noch mit den Folgen der Flutkatastrophe vom vergangenen Jahr zu kämpfen, dazu droht eine schwere Wirtschaftskrise. Und dann gibt es auch noch das große Problem Tuberkulose (TB). Pakistan liegt unter den Staaten mit den weltweit höchsten Tuberkulose-Fallzahlen auf Platz fünf. „Yes! We can end TB!“, lautet das Motto der Weltgesundheitsorganisation WHO zum diesjährigen Welt-Tuberkulose-Tag am 24. März – aber vor allem für Frauen und Mädchen in Pakistan bleibt die Situation schwierig.

Würzburg, Rawalpindi, 24.3.2023: „Ich gebe Ihnen mal einen ganz groben Vergleich“, sagt Dr. Chris Schmotzer und rückt den Laptop zurecht, sodass sie besser in das Mikrofon sprechen kann. „In Deutschland hat man pro Jahr eine Zahl von neu infizierten Tuberkulose-Patient:innen, die sich irgendwo in der Größenordnung von 5.000 befindet. Hier aber haben wir mehr als 500.000 neue Tuberkulose-Patient:innen pro Jahr!“ Hier, das ist Pakistan. Dr. Schmotzer sitzt in ihrem Büro im Rawalpindi Leprosy Hospital im Norden des Landes, einem von der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe geförderten Krankenhaus. Ursprünglich hatte sich die Arbeit dort vor allem auf die Bekämpfung der Lepra konzentriert. Aber als sich Ende der Neunzigerjahre diese Infektionslage langsam entspannte, beschlossen die Mediziner:innen, sich zusätzlich eines anderen riesigen Gesundheitsproblems im Land anzunehmen: der Tuberkulose, ausgelöst durch einen der Lepra ähnlichen Erreger. Auch damals war die deutsche Ärztin und Ordensschwester Dr. Schmotzer bereits im Team. Heute ist das Rawalpindi Hospital unter ihrer Leitung ein anerkanntes Zentrum für die Behandlung von Tuberkulose – und nimmt auch schwierige Fälle auf.

DAHW-geförderte Klinik behandelt auch komplizierte Formen der Tuberkulose

So wird in Rawalpindi etwa die sogenannte Extrapulmonale Tuberkulose therapiert. „Wenn ich in Deutschland bin, frage ich die Leute manchmal spaßeshalber: Was weißt du eigentlich über Tuberkulose? Und dann sagen die meisten: Ach, das ist doch so eine alte Lungenkrankheit“, erzählt Dr. Schmotzer. „Es ist aber weniger bekannt, dass die Tuberkulose fast alle Körperteile befallen kann. Die Augen, die
Lymphknoten, Gelenke, Wirbelsäule, so gut wie alle Organe des Körpers. Und die Hirnhäute, das ist wirklich fürchterlich.“

Hinzu kommt: In manchen Fällen – ob es sich nun um eine Tuberkulose der Lunge handelt oder andere Körperteile betroffen sind – kann die Infektion mit den gängigen Antibiotika nicht behandelt werden. Gerade erst hatte Dr. Schmotzer einen solchen Fall in ihrer Klinik: Eine junge Frau wurde trotz einer langwierigen TB-Behandlung nicht gesund. Das Rawalpindi-Team entdeckte, dass sie an einer multiresistenten Form der Tuberkulose litt und passte die Medikamente an. „Behandlungszentren wie unseres gibt es in Pakistan nur wenige, weil die Therapie der multiresistenten TB sehr aufwendig ist“, erklärt Dr. Schmotzer. Die 15-jährige Patientin hatte Glück: Ihre neue Therapie schlug an, nach wenigen Wochen konnte sie die Klinik verlassen. Nun hat sie gute Chancen auf Heilung.

Stigmatisierung hat vor allem für Frauen schwerwiegende Folgen

Dass die junge Frau überhaupt in Behandlung ist, ist keine Selbstverständlichkeit, weiß Dr. Schmotzer: „In vielen Teilen Pakistans kann eine Frau oder ein junges Mädchen nicht einfach so beschließen, bei Beschwerden zum Arzt zu gehen. Die Gesundheitseinrichtungen sind oft weit weg und die Entscheidungen treffen die Männer der Familie. Wenn gerade kein Geld oder keine Zeit für aufwendige Arztbesuche da ist, bleibt die Frau eben erst einmal unbehandelt.“ Frauen und Mädchen haben ohnehin ein erhöhtes Risiko für Tuberkulose – etwa durch häufige Schwangerschaften. Noch dazu sind sie aber ganz besonders vom Stigma betroffen, das in Pakistan immer noch zu einer TB-Diagnose dazugehört. „Immer wieder höre ich von Eltern in meiner Ambulanz: Sag bitte niemandem, dass meine Tochter Tuberkulose hat“, erzählt Dr. Schmotzer. „Denn wenn so eine Diagnose bekannt wird, kann das Mädchen unter Umständen nicht mehr verheiratet werden.“

Anil Fastenau, Global-Health-Berater der DAHW, kennt die Problematik. „Viele Frauen in Pakistan neigen dazu, ihre Symptome oder eine TB-Diagnose zu verstecken – manchmal sogar vor der eigenen Familie“, erklärt er. „In einer Studie wurden Tuberkulose-Patientinnen kürzlich zu ihren Sorgen befragt. Und für viele ist die größte Angst nicht, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert, sondern, dass sie wegen des Stigmas keinen Ehemann finden oder dass der Mann sich von ihnen trennt.“ Auch, dass etwa die Schwiegereltern eine Frau wegen deren TB-Diagnose verstoßen, komme vor.

DAHW arbeitet mit Aufklärung gegen das Stigma

Die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe leistet daher – neben der medizinischen Hilfe – intensive Informationsarbeit in Pakistan. Mitarbeiter:innen besuchen betroffene Familien, klären über die Krankheit auf und untersuchen etwa auch Angehörige, die im gleichen Haushalt leben. So auch im Fall der 15-jährigen Patientin von Dr. Schmotzer – und tatsächlich wurde bei einem weiteren jungen Mädchen in der Familie eine TB-Infektion festgestellt. Sie wird nun ebenfalls behandelt.

Dr. Schmotzer sieht die Erfolge, aber auch das große Potenzial, das die TB-Bekämpfung in Pakistan noch hat. „Es muss noch viel passieren, damit Tuberkulose als normale Krankheit gesehen wird“, glaubt die Ärztin. „Nur dann kann man sie wirklich schnell diagnostizieren und möglichst effektiv behandeln – und das wäre die einzige Lösung für die Zukunft.“ Global Health Berater Anil Fastenau stimmt ihr zu: „Innerhalb der betroffenen Familien funktioniert die Aufklärung schon ganz gut, aber wir müssen die breite Bevölkerung mitnehmen.“ Religiöse Führer und einflussreiche Männer innerhalb der Gemeinden werden daher in die Aufklärungsarbeit mit einbezogen. „Eine Tuberkulose-Diagnose muss keine Schande sein“, sagt Fastenau – doch diese Auffassung muss sich in Pakistan erst noch durchsetzen.


 

Drei Fragen an den Tuberkulose-Experten Anil Fastenau, Global-Health-Berater der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe:

Warum ist Tuberkulose in Pakistan immer noch ein großes Problem?
Tuberkulose ist eine armutsassoziierte Krankheit. Viele Menschen in Pakistan haben ein sehr niedriges Einkommen und dadurch ein erhöhtes Risiko für eine Infektion: Sie leben in beengten Wohnverhältnissen, ihr Zugang zu sanitären Einrichtungen und gesunder Ernährung ist beschränkt und sie sind womöglich – vor allem in ländlichen Gegenden – von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten. Außerdem ist Tuberkulose in Pakistan mit einem erheblichen Stigma behaftet. Menschen, bei denen eine Tuberkulose-Erkrankung bekannt ist, werden mitunter ausgegrenzt und – selbst wenn sie in Behandlung oder genesen sind, also nicht mehr ansteckend sein können – als Gefahr für andere gesehen. Betroffene müssen fürchten, sozial isoliert zu werden oder ihre Arbeit zu verlieren. Oft ist die Angst um den gesellschaftlichen Status tatsächlich größer als die Sorge um den eigenen Gesundheitszustand. Das hat Konsequenzen: Betroffene suchen keinen medizinischen Beistand, werden nicht oder spät diagnostiziert, büßen Gesundheit und Lebensqualität ein oder sterben sogar an der Krankheit. Und nicht zuletzt wird die Tuberkulose so immer weiter verbreitet. All das müsste nicht sein, wäre die Krankheit nicht so stigmatisiert.

Warum sind Frauen und Mädchen von dieser Problematik besonders betroffen?
Ihnen drohen noch weitreichendere Konsequenzen, wenn eine TB-Infektion diagnostiziert wird – und diese Diagnose bekannt wird. Für unverheiratete Frauen ist die Aussicht auf eine Eheschließung in Gefahr und damit unter Umständen ihr gesicherter Lebensunterhalt. Verheiratete Frauen sorgen sich um ihre Ehe, den Kontakt zu ihren Kindern und ihre Stellung in der Familie, denn es kommt zum Beispiel auch vor, dass Schwiegereltern von ihren Söhnen verlangen, sich von einer an TB erkrankten Ehefrau zu trennen.

Wie begegnet die DAHW in Pakistan diesen Herausforderungen?
Die DAHW versucht in erster Linie, mit ihren Partnern vor Ort das Gesundheitssystem zu stärken – mit Trainings, Fortbildungen und Beratung. Aber wir unterstützen auch erheblich die Aufklärungsarbeit in Pakistan. Mitarbeiter:innen gehen in die Gemeinden und beziehen die politischen und religiösen Autoritätspersonen mit ein, sie informieren über tatsächliche Gefahren der Tuberkulose und räumen mit Vorurteilen und Halbwissen auf, sie besuchen Familien und untersuchen Betroffene und Angehörige. Und sie entsprechen dem Wunsch der Menschen nach Diskretion. Innerhalb der Familien funktioniert die Aufklärung meistens gut. Aber bis in der breiten Bevölkerung ein Umdenken stattgefunden hat, wird es noch dauern. Deshalb braucht es auch weiterhin die Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung, die wir als DAHW mit unseren Partnern in Pakistan leisten.


Helfen Sie jetzt mit einer Spende


Mehr Informationen zum Welt-Tuberkulose Tag