08. Dezember 2023

Der Gesellschaft einen Fingerabdruck hinzufügen: Die Geschichte von Waheeb

Dreimal verlor Waheeb seine Familie und damit jegliche Zuversicht. Heute unterstützt er als ehemaliger Leprapatient Menschen, die sein Schicksal teilen. Seine Lebensgeschichte erzählt von Hoffnung, die stärker ist als alle Widrigkeiten.

Würzburg / Taiz, 10. Dezember 2023: Schätzungsweise dreihundert Menschen im Jemen sind von Lepra betroffen. In einem Umfeld, das von Instabilität und Nahrungsunsicherheit geprägt ist, sind sie noch zusätzlich mit den Herausforderungen einer stigmatisierenden und potenziell massiv lebensverändernden Krankheit konfrontiert.

Dreihundert, das klingt vielleicht nicht nach viel. Doch hinter jedem registrierten Fall steht ein Mensch, ein Leben.

Menschen wie Waheeb. Seine Lebensgeschichte ist geprägt von Rückschlägen und tiefer Verzweiflung – und davon, wie er sich der Hoffnungslosigkeit immer wieder entgegenstemmte. Heute hat Waheeb eine neue Zukunftsperspektive, unterstützt von der DAHW und ihrer Partnerorganisation Deem. Den Mitarbeitenden vor Ort hat er seine Geschichte erzählt, die wir hier leicht gekürzt wiedergeben.

„Seit ich sieben Jahre alt war, haben Arbeit und Erschöpfung mein Leben bestimmt. Meine Mutter starb, mein Vater heiratete wieder und überließ uns unserem Schicksal. Ich war der Älteste von sieben Söhnen, und so beschloss ich, arbeiten zu gehen. Als Achtjähriger bereits half ich beim Ackerbau, bei der Dattelernte und beim Hüten der Schafe. Als ich fünfzehn Jahre alt war, hatte ich genug Geld, um ein Kamel zu kaufen. Damit transportierte ich Baumwolle, Datteln und Süßigkeiten von einem Dorf zum anderen.

Meine Arbeit war schwierig und riskant, weil ich nachts in der Wüste unterwegs war. Aber ich genoss die Gesellschaft des Tiers. Es war gehorsam, gut im Umgang und schnell. Es trug die Waren in der Nacht und die Händler machten gern Geschäfte mit mir. Sie nannten mich „den schnellen Touristen“ und ich behandelte das Kamel, als sei es meine Familie. Das Geld, das ich verdiente, schickte ich meinen Brüdern und meinem Vater.

Eines Tages war ich mit meinem Kamel unterwegs und es regnete stark. Der Sand war nass und das Kamel stürzte und brach sich das Bein. Niemand konnte uns helfen. Ich versuchte, es zu behandeln, aber eines Nachts starb es schließlich.

Oh, mein Herz tat weh. Damals hasste ich alles in meinem Leben. Das Kamel war die einzige Familie gewesen, die ich noch hatte. Ich beschloss, das Land zu verlassen und neu anzufangen, alle Erinnerungen auszulöschen. Ich reiste nach Saudi-Arabien und arbeitete drei Jahre lang in der Schafzucht.

Doch ich war mit einem Mädchen aus meinem Dorf verlobt und wollte zu ihr zurückkehren. Zu dieser Zeit aber begannen diese Kopfschmerzen, meine Hände und Füße wurden taub. Man sagte mir, ich solle in ein Krankenhaus in Taiz reisen und mich in einem speziellen Zentrum dort behandeln lassen. Es war Lepra.

Als ich eine Weile in Behandlung war und mich besser fühlte, kehrte ich in unser Dorf zurück. Die Aussicht auf ein Leben als Ehemann und Vater machte mich glücklich. Aber überrascht musste ich feststellen, dass meine Verlobte die Verbindung aufgelöst hatte. Unsere Familien hatten von meiner Erkrankung erfahren und mich verstoßen. Zum dritten Mal in meinem Leben erlitt ich einen solchen Verlust.

Ich geriet in eine elende Situation. Ich floh in die Berge, um dort allein in der Kälte zu leben. Aber die Krankenschwestern suchten nach mir! Ich hatte meine Medikamentengabe verpasst und sie fanden mich, brachten mich in das Zentrum zurück und gaben mir Arbeit im Garten der Klinik.

Ich kümmerte mich mit all meiner Kraft um die Pflanzen. Die Bäume schenkten mir Liebe und Ruhe und einen unbeschreiblichen Trost.

Dann kam der Krieg.

Die Krankenschwestern verließen uns. Die Bäume verbrannten. Ich blieb, wo ich war, und blickte dem Tod ins Auge. Mit einigen Mitpatient:innen versuchte ich, alles wieder aufzubauen, aber ohne Erfolg.

Als wir erfuhren, dass es Organisationen gab, die uns helfen wollten, war das eine große Erleichterung. Unter diesen Organisationen waren DAHW und Deem. Sie schulten uns in Massagetechniken und der Herstellung von Krücken und halfen mir, ein kleines Massagegerät zu kaufen. Und: Sie sorgten dafür, dass ich psychologische Unterstützung erhielt. Dank dieser Unterstützung fand ich die Kraft, meine Familie zu kontaktieren und sie versprachen, mich zu besuchen.

Heute habe ich Selbstvertrauen. Ich bin stolz darauf, dass ich den Menschen helfen kann, die das Zentrum besuchen. Ich danke allen, die dazu beigetragen und uns dieses Selbstvertrauen gegeben haben. Denn wir verdienen es, einen Fingerabdruck in dieser Gesellschaft zu hinterlassen. Wir sind nicht hilflos.“


 

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