18. Januar 2018

WLT 2018 - Ein Lichtblick namens Ganta

Samira B., ehemals von Lepra betroffene Mutter mit ihren Zwillingen
Foto: Jochen Hövekenmeier / DAHW
Samira B., ehemals von Lepra betroffene Mutter mit ihren Zwillingen Foto: Jochen Hövekenmeier / DAHW

Wie eine junge Mutter endlich eine Perspektive bekam

„Selbst genäht!“ Sichtbar stolz zeigt Samira B. (Name von Redkationgeändert) auf die Kleider ihrer Zwillinge. Hübsche Kleider sind es. Die junge Mutter genießt das Lob. Gleich mehrere Kunden bestellen heute Kleider für ihre eigenen Kinder. Genug Arbeit für Samira, die nächsten beiden Wochen sind gesichert.

Gelernt hat sie die Schneiderei in Ganta, in dem von der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. unterstützten Hospital und Rehabilitationszentrum im Norden Liberias. Hier lebt und arbeitet sie seit sie die Diagnose Lepra bekommen hat. „Schon sehr bald“, sagt sie, „will ich zurück nach Hause und dort eigene Kinderkleidung entwerfen und schneidern. Doch Ganta und die tollen Menschen hier werde ich nie vergessen.“

Samira stammt aus dem Nachbarland Elfenbeinküste, aus dem Grenzgebiet zu Liberia und Guinea. Ihre Kindheit war geprägt durch Krieg, Hunger, Entbehrungen und Vertreibung. So kam die damals 13-jährige als Flüchtling über die Grenze, aus dem Land, in dem sie bislang nur Angst und Elend erfahren hatte. In einem Flüchtlingslager in Liberia lernte sie ihre vermeintlich große Liebe kennen: „Er versprach, mich zu heiraten und dass er uns aus dem Elend herausholen wollte. Ich glaubte ihm, denn jede noch so kleine Hoff nung war besser als die Realität im Lager.“ Als Samira schwanger wurde, war sie 15 und hatte immer noch keine Perspektive.

Wider Erwarten hielt ihr Freund zu ihr, sprach weiter von Träumen und Hoffnungen. „Doch eines Tages“, erinnert sie sich weiter, „hatte ich eine Verletzung am Fuß. Ich hatte das gar nicht bemerkt, obwohl es stark geblutet hatte.“ Kein Problem, dachten die beiden Jugendlichen und wickelten ein Stück Stoff um den Fuß. Doch der schwoll immer weiter an, entzündete sich. Die Wunde wollte nicht heilen.

Zu dieser Zeit kam John Brimah in das Lager. Der Krankenpfl eger aus dem Leprahospital in Ganta fährt regelmäßig in die dünn besiedelte Grenzregion. Bei den Reihenuntersuchungen fiel ihm Samira sofort auf. Er war sich sicher, dass sie an Lepra erkrankt war: Nach der Untersuchung des Gewebes bestätigte sich die Verdachtsdiagnose: Samira hatte Lepra.

Um die durch die Infektion entstandenen Wunden am Fuß zur Abheilung zu bringen, kam Samira nach Ganta. Sie kam gern mit, denn der Vater ihrer noch ungeborenen Zwillinge war fast so schnell verschwunden, wie Samira gebraucht hatte, um ihm von der Diagnose Lepra zu erzählen. „Viele Mädchen werden verlassen, sobald sie schwanger werden. Ich halt erst, als ich an Lepra erkrankt war. Aber nachweinen werde ich ihm bestimmt nicht“, strotzt Samira heute vor Selbstbewusstsein.

Das hat sie auch ihrer neuen Heimat Ganta zu verdanken: Hier wurde sie medizinisch wie menschlich erstklassig behandelt und bekam eine Perspektive: „Konkrete Pläne für meine Zukunft, keine Träume und Spinnereien“, betont die junge Mutter. Sie erhielt die notwendige Therapie, eine Ausbildung zur Näherin, zwischendurch bekam sie ihre Zwillinge und konnte den Fuß operieren lassen.

Heute sieht man kaum noch, dass sie kurz davor war, ihre Zehen zu Heute sieht man kaum noch, dass sie kurz davor war, ihre Zehen zu verlieren. Durch die Physiotherapie humpelt sie nicht mehr, und aufgrund der Behandlung mit drei verschiedenen Medikamenten ist die Lepraerkrankung besiegt. Erfreulicherweise haben sich die Kinder nicht angesteckt, sie sind gesund zur Welt gekommen.

Ihre heute zweijährigen Zwillinge sind für Samira der Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens. Und Inspiration für ihren Beruf: „Ich suche schöne Muster auf Stoff en und denke mir aus, wie sie meinen beiden Mädchen stehen könnten und in welcher Form ich sie nähen muss. Anscheinend gefällt dies anderen Eltern so gut, dass ich mit meiner Arbeit meine Kinder und mich ernähren kann.“

Bald wird Samira 19 und steht mit beiden Beinen im Leben. Das verdankt sie dem Team des Ganta Rehabilitation Hospitals. Und den vielen Spendern der DAHW, die den Betrieb dieses Krankenhauses ermöglichen. Jetzt kann sie endlich wieder zurück in ihre Heimat. Sie spricht jeden Tag darüber und bedankt sich bei allen vor ihrem Abschied. Zuhause, sagt Samira, kann sie mit dem, was sie hier gelernt hat, gut leben. Und sie kann dort nach ihrer Familie suchen, „Sie wissen ja noch gar nichts von meinen beiden süßen Mädchen. Und dann erzähle ich ihnen auch von den wunderbaren Menschen im Hospital von Ganta.“

Liberia ist eines der Länder in denen wir Projekte unterstützen.


Info: Liberia und Elfenbeinküste

Liberia und die Elfenbeinküste gehören zu den ärmsten Ländern der Welt: Rang 177 bzw. 171 von 188 im Welt-Entwicklungs-Index. Mehr als die Hälfte der Menschen können weder lesen noch schreiben.

Fast jedes dritte Kind ist unterernährt und fast jedes elfte Kind stirbt vor seinem fünften Geburtstag. Jedes vierte Kind kann nicht zur Schule gehen, weil es arbeiten muss, damit die Familie überleben kann.

Beide Länder wurden immer wieder von brutalen Bürgerkriegen erschüttert. 2002 begann der bislang letzte Bürgerkrieg, als die Regierung der Elfenbeinküste vorwiegend aus Vertretern der „Ivorité“-Bewegung bestand. Diese sprachen vielen Minderheiten im Land das Recht ab, „echte Ivorer“ zu sein. Als Folge erhoben sich Teile des Militärs gegen die Regierung. Mehr als eine halbe Million Menschen musste fliehen, fast die Hälfte davon nach Liberia.

In Liberia wurde gerade erst der bis 2003 andauernde 14 jährige Bürgerkrieg beendet, so dass auch die DAHW ihre Lepra-Kontrollarbeit wieder aufnehmen konnte. Dreh- und Angelpunkt dieser Arbeit ist das Hospital in Ganta, das einzige Lepra-Referenzkrankenhaus im ganzen Land. An der Grenze zu Guinea gelegen und keine 100 Kilometer von der Grenze zur Elfenbeinküste entfernt ist Ganta ein Fels in der Brandung, wenn es um die Behandlung von Krankheiten der Armut wie Lepra, Tuberkulose oder auch Buruli Ulcer geht.

Zum Hospital gehören viele weitere Einrichtungen in denen die Patienten zum Beispiel eine Berufsausbildung erhalten. So können sie trotz der in diesem Land immer noch typischen Ausgrenzung nach ihrer medizinischen Heilung ein selbstbestimmtes Leben führen und ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit verdienen.