Gerhard Armauer Hansen

Entdecker des Lepra-Erregers

Obwohl Lepra als eine der ältesten Krankheiten der Menschheit gilt, ist sie bis heute kaum erforscht. Der auslösende Krankheitserreger, das Mycobacterium leprae, wurde erst 1879 von dem Norweger Gerhard Armauer Hansen entdeckt. Deshalb wird Lepra auch als Morbus Hansen oder schlicht Hansenkrankheit bezeichnet.

Hansen, mit bürgerlichem Namen Gerhard Henrik Hansen, wurde am 29. Juli 1841 im norwegischen Bergen als achtes der insgesamt 15 Kinder des Ehepaares Claus Hansen und Elizabeth Concordia Schram geboren. Als Kind verbrachte Hansen viel Zeit auf dem Bauernhof seines Onkels. Obwohl die Familie wenig Geld hatte, besuchte Hansen das Gymnasium und begann anschließend an der Königlichen Friedrichs-Universität im heutigen Oslo sein Studium der Medizin, das er 1866 mit Auszeichnung abschloss. 

Nach einiger Zeit, in der er als Arzt – unter anderem auf den Lofoten – arbeitete, kehrte er 1868 nach Bergen zurück. Die zweitgrößte Stadt Norwegens galt aufgrund der in Skandinavien steigenden Zahl der Lepra-Erkrankungen damals als Zentrum der europäischen Lepraforschung. Zwischen 1850 und 1900 hatte Bergen drei Leprakrankenhäuser und die größte Konzentration von Lepra-Patient*innen in Europa. Das älteste Leprakrankenhaus der Stadt, das St. Jørgen's Hospital, ist heute nicht nur ein Denkmal für tausende von persönlichen Tragödien, sondern auch ein wichtiger Schauplatz der norwegischen Arbeit und Forschung über Lepra.

Hansen arbeitete damals am Lungegaard-Hospital, einer Forschungseinrichtung unter Leitung von Daniel Cornelius Danielssen mit Platz für 90 Lepra-Patient*innen. Als Danielssens Assistent veröffentlichte Hansen 1869 seine erste Arbeit zur Lepra. Parallel dazu erhielt er für seine Dissertation („Beitrag zur normalen und pathologischen Anatomie der Lymphknoten“) das Stipendium „Professor Skjelderups Goldmedaille für medizinische wissenschaftliche Arbeit“.

Im Gegensatz zu Danielssen, der Lepra als Erbkrankheit betrachtete, tendierte Hansen schnell in Richtung Infektionskrankheit. Um sich auf dem Gebiet der Bakteriologie weiterzubilden, besuchte er 1870 das Anatomische Institut der Universität Bonn, um sich im Mikroskopieren zu üben. Aufgrund des Deutsch-Französischen Krieges sah er sich gezwungen, nach Wien weiterzureisen. Hier kam Hansen erstmalig mit den Lehren Charles Darwins in Berührung, die sein Weltbild nachhaltig verändern und prägen sollten.

Hansen entdeckt den Krankheitserreger der Lepra, des Mycobacterium leprae

Bereits 1896 hatte Hansen, wie auch andere Forscher vor ihm, im infektiösen Material braune Stäbchen unter dem Mikroskop beobachtet. So kam er im Lauf der Jahre zu der Annahme, dass es sich dabei um Bakterien handeln könnte, die die Krankheit Lepra auslösen. In seinen Veröffentlichungen in einer englischen Zeitschrift berichtete er 1874 und 1875 darüber. Doch der Nachweis seiner Vermutung war alles andere als leicht. Es gelang ihm weder, die Infektion auf geeignete Versuchstiere zu übertragen, noch die Bakterien zu kultivieren oder einzufärben. 

Erst dem deutschen Bakteriologen und Schüler Robert Kochs, Albert Neisser, der Hansen in Bergen besucht und Gewebeproben zur Untersuchung erhalten hatte, wies 1879 mit einer speziellen Färbemethode den Leprabazillus nach und identifizierte ihn eindeutig als krankheitsverursachend. Die Auseinandersetzung der beiden Wissenschaftler, wer nun der wahre Entdecker des Mycobakterium leprae sei, ging als "Hansen-Neisser-Kontroverse" in die Medizingeschichte ein. Doch letztlich beanspruchte Hansen die Entdeckung für sich und erzielte auf dem 1. Internationalen Leprakongress 1897 in Berlin seinen Durchbruch. 

„Robert Koch, der 1882 den Erreger der Tuberkulose entdecken sollte, schrieb 1879 diesen ausführlichen Brief an Hansen, der der DAHW als Originaldokument vorliegt. Darin gibt er ihm Tipps zu seinen Forschungstätigkeiten und bittet seinerseits um Untersuchungsmaterial. Der Erreger der Lepra und der Erreger der Tuberkulose sind beides Mykobakterien.“

Brief von Robert Koch an Armauer Hansen (Transkription)

Wollstein der 20. Juli 1879

Hochgeehrter Herr Kollege,

Ihre Mitteilung über den Befund von Bazillen bei Lepra erregt selbstverständlich bei mir ein lebhaftes Interesse und das umso mehr, als mir Prof. Klebs im vorigen Herbst sagte, dass er ebenfalls Bakterien in leprösen Geweben gefunden habe, seine Angaben aber so unbestimmt ließ, dass sie mir, offen gestanden, nicht überzeugend waren.

Ich teile vollständig Ihre Meinung, dass es ungemein wichtig sein würde, eine so außerordentlich chronische Krankheit wie Lepra auf die Tätigkeit Niederer Organismen zurückzuführen und ich bin deswegen sehr gerne bereit, Ihnen hierzu, soweit mein Rat Ihnen nützlich sein kann, behilflich zu sein.

Bis jetzt habe ich noch immer gefunden, dass gerade Bazillen die Anilinfärbung, wie ich sie von Prof Weigert gelernt und in meiner Schrift p. so beschrieben habe, ausgezeichnet annehmen. Andererseits sind mir in letzter Zeit aber auch wieder Bakterien vorgekommen, die sich mit Anilin nach der gewöhnlichen Methode nicht färben ließen und die noch besondere Kunstgriffe erforderten um sichtbar zu werden. Ich vermag deswegen von vornherein nicht zu sagen, ob die von Ihnen gesehenen Bakterien für Anilin-Kern-färbung geeignet sind oder nicht. Wenn aber selbst das Protoplasma der Zellen von Methylviolett zu Ihren Präparaten gefärbt erschien, so kann das folgende Gründe haben: Entweder haben sie die Objekte in Chromsäure oder Müller’scher Lösung und nicht in Alkohol gehärtet, oder Sie haben die Schnitte zu lange Zeit in der Farbstofflösung liegen lassen und zu kurze Zeit mit dem mit Essigsäure angesäuerten Wasser behandelt und danach zu schnell aus dem Alkohol genommen.  Sollten sie nach diesen Andeutungen noch nicht den Fehler bemerken, dann bitte ich mir genau das von Ihnen befolgte Verfahren zu schildern, damit ich sehen kann, wo Sie von der erprobten Methode abgewichen sind.

Die Anfertigung haltbarer Präparate allein scheint mir nicht hinreichend zu sein, um eine Entdeckung auf mikroskopischen Gebiete schnell bekannt zu machen und andere von der Richtigkeit der Beobachtung zu überzeugen. Man kann doch nur eine beschränkte Anzahl von Präparaten anfertigen und verwenden und schließlich ereignet es sich noch, wie es mir mehrfach ergangen ist, dass der Andere das, was man ihm zeigen will, mit einem unzulänglichen Instrument, bei fehlerhafter Beleuchtung und Einstellung untersucht, ganz andere Dinge sieht oder zu sehen glaubt und sich für berechtigt hält, die ganze Sache für falsch anzunehmen. Dies hat mich veranlasst, meine Bemühungen, ein Verfahren (aufzufinden) zur photographischen Abbildung pathogener Bakterien, wieder aufzunehmen und dass ich darin Erfolg gehabt habe, mögen Sie aus beifolgenden Photogramm entnehmen, die natürlich keine künstlerische Vollendung beanspruchen, aber  zur Illustration dessen , was ich gesehen habe, und namentlich zum wissenschaftlichen Beweis vollständig genügen. Durch Lichtdruck sind diese Bilder leicht zu vervielfältigen und in Jedermanns Hand zu bringen.

No 1. zeigt Capillaren aus der Dünndarmzotte eines an Impfmilzbrand gestorbenen Kaninchens. Isolierte Färbung. 700x

No 2. Schnitt aus der Niere eines an Pocken gestorbenen Menschen. Ein etwas gewundener Gefäß mit beginnender Microvierenansammlung; links ein weißer und mehrere rote Blutkörperchen. 700x

No 3. Schnitt aus er selben Niere. Dichter Microvierenhaufen in einem Gefäßlumen, Blutkörperchen sind vollständig verdrängt. 700x

No 4. Microvierenkolonie in der Milz. Ebenfalls von Pocken. 700x

No 5. Aus einer Typhusmilz bei schwacher (100x) Vergr., die Bakterien sind in ihrem Falle nicht so geformt wie die von Pocken, sondern sind viel größer und länglich.
Besonders wird sie interessieren, dass auch Schnitte aus der Haut recht instruktive Bilder geben.  

No 6. Ist ein Schnitt aus einem Stückchen Haut, dass ich einem Erysipelkranken (also dem lebenden) vom Rande des Erysipel extrahierte und sofort in absoluten Alkohol legte. Die Haut ist im Alkohol etwas geschrumpft, daher die höckerige Oberfläche. Man sieht nur einige stark hervortretende und mit [nicht zu entziffern] gefüllte Lymphgefäße, sonst keine Veränderung. Die Vergrößerung ist nur 100fach.

Das eine der beiden Lymphgefäße auf No 6. ist in No 7. stark (700x) vergrößert. Man sieht dunkelgefärbte Kernmassen an der linken Wand des Gefäßes, rechts bleibt ein schmaler, fast Kernloser Raum, in dem sich ziemlich viel Microvieren zu finden. Das Bild gibt natürlich nur eine Ebene und in dieser nicht allzuviel Microvieren aber kein Heben und Senken des Tubus zeigen sich alle Theile der Gefäße in gleicher Weise mit Mircovieren durchsetzt.

Die Microvieren dringen aber auch in die Lymph-oder Spalträume des Bindegewebes und bereiten sich derart aus, wie auf No 8. zu sehen ist, das aus demselben Schnitt stammt.

Ich rate Ihnen dringend, Ihre Beobachtungen und Funde womöglich auch durch photographische Ablichtungen zu belegen.  

Auf  eins möchte ich mir Ihre Aufmerksamkeit noch zu lenken erlauben, wenn es Ihnen nicht schon selbst aufgefallen ist. Ich meine nämlich, dass man in der Erklärung der Bakterienfunde nicht vorsichtig genug sein kann. Mir sind in letzter Zeit vielfach und gerade beim Menschen Bakterien vorgekommen, die unzweifelhaft eine sekundäre Rolle spielen. So halte ich beispielsweise die auf den Photogrammen wiedergegebenen Poken-Mikrokokken für eine sekundäre Erscheinung, die mit dem Pockenprozess an und für sich nichts zu tun hat. Bei Abdominaltyphus habe ich zwei verschiedene Bakterienarten gefunden, die ganz ebenso wie bei den Wundinfektionskrankheiten von, ihrer schwere der Oberfläche beraubten, Körperstellen, also hier von den Darmgeschwüren aus in die Blutbahn eindringen. Bazillen kommen in ähnlicher Weise schmarotzend auf Milzbrandcarbunkel Vor und zwar auf der äußeren Haut ein Bazillus mittlerer Größe (wenn der Bazillus Anthracis als ein sehr großer angenommen wird) auf einem Darmcarbunkel habe ich dagegen einen ganz anderen sehr dünnen Bazillus angetroffen. Ferner habe ich Bazillen in Hornhautgeschwüren pockenkranker Schafe und gehäuft in der Umgebung der Schleimhautpocken dieser Tiere gesehen. Könnten nicht auch in leprösen Geweben die von Epidermus entblößt sind, solche Einwanderungen von schmarotzenden Bakterien vorkommen? Ganz anders würde allerdings die Sache liegen wenn schon in ganz frisch erkrankten von unversehrter Haut bedeckten Teilen Bazillen gefunden würden und auch ihre Einwanderung von benachbarten offenen Geschwüren ausgeschlossen bliebe.

Sehr lieb wäre es mir, wenn Sie mir einiges Material zur Untersuchung überlassen möchten. Selbstverständlich würde ich Ihren Publikationen nicht vorgreifen.

Mit der größten Hochachtung

ergebenst

Dr. Koch.

Transkribiert von R. Brodziak

Brief von Robert Koch an Armauer Hansen (Scan des Originals)


Entscheidung mit schwerwiegenden Folgen

Hansen versuchte nun, endgültig aufzuzeigen, dass Lepra ansteckend ist. Nachdem ihm dies mit Tierversuchen nicht gelungen war, brachte er einer Lepra-Patientin – ohne ihr Wissen – lepröses Material in die Hornhaut des Auges ein. Dieser unverantwortliche Menschenversuch galt schon damals als absolut unethisch. Es kam zu einem Gerichtsverfahren in dessen Folge Hansen seine Stelle als Arzt am „Pflegestift für Lepröse Nr. 1“ verlor. Aber er blieb weiterhin „Generalinspektor der Lepra im Königreich Norwegen“. 

Die Ansteckungstheorie von Hansen hatte einschneidende Veränderungen in der Betrachtungsweise und im Umgang mit der Krankheit Lepra zufolge. So etablierte er die völlige Isolation von Betroffenen als Schutzmaßnahme. Lepra-Patient*innen mussten in sogenannten Leprosarien leben, völlig abgeschnitten von der Außenwelt und ihren Familien. Angesichts der Tatsache, dass man wenig Wissen zur Übertragung der Lepra hatte und es auch keine Therapie für die Krankheit gab, ein nachvollziehbarer Schritt. Allerdings ist die Praxis der Isolation als unmenschlich zu betrachten und trug zur Erhöhung des Stigmas der Lepra bei. 

Hansen war inzwischen am Universitätsmuseum Bergen tätig, dessen Vorstand er bereits seit 1872 angehörte. In seiner Arbeit konzentrierte er sich auf die wissenschaftliche Bearbeitung der biologischen Befunde der Norwegischen Nordmeerexpedition, wo er insbesondere Ringelwürmer und Schwämme beschrieb. Nach dem Tod Danielssens 1894 folgte Hansen als Präsident des Bergen Museums.

Familienleben und Lebensende

Gerhard Armauer Hansen war zweimal verheiratet. 1873 ehelichte er die Tochter seines Mentors Dr. Danielssen, Stephanie Marie, verlor sie aber schon ein Jahr nach der Heirat an die Tuberkulose. Zwei Jahre später heiratete er erneut und bekam mit seiner zweiten Frau, der vermögenden Witwe Johanne Margrethe Tidemand, einen Sohn. Er nannte ihn nach seinem früheren Schwiegervater Danielssen: Daniel Cornelius Armauer Hansen. Auch Daniel durchlief eine medizinische Ausbildung, wurde Arzt und führte das Erbe seines Vaters weiter. Ab 1929 leitete er das Tuberkulose-Krankenhaus in Bergen. 

Hansens Engagement galt zeitlebens der Leprafürsorge und der Etablierung eines modernen Lepragesetzes in Norwegen, durch das sich die Krankheit rasch eindämmen ließ. Hansens eigener Gesundheitszustand verschlechterte sich während seiner letzten Lebensjahre. Bereits als Student hatte er sich mit Syphilis infiziert und einige Spätfolgen davongetragen. Ebenfalls in jungen Jahren, im Alter von 36 Jahren, hatte Hansen einen Schlaganfall erlitten. In höherem Alter folgten immer wieder Herzbeschwerden. Schließlich verstarb er 1912 während einer Expeditionsreise in Florø. Eine Büste im botanischen Garten des Bergen Museums erinnert bis heute an ihn. Die Urne mit seiner Asche wurde in den Sockel der Büste eingelassen.

Hansens Arbeit lebt weiter

Die Erforschung und die Bekämpfung der Krankheit Lepra bestimmten das Leben von Gerhard Armauer Hansen. Heute ist Lepra heilbar. Dennoch erkranken laut WHO-Statistik immer noch jedes Jahr weltweit hunderttausende Menschen neu an dieser Krankheit. Nach wie vor werden Betroffene weltweit ausgegrenzt und diskriminiert oder haben keinen Zugang zu medizinischer Behandlung. In der Folge müssen Millionen Menschen mit leprabedingten Behinderungen leben, die eigentlich vermeidbar wären. 

Aufklärungsarbeit, um dem Stigma der Lepra entgegenzuwirken, aktive Fallsuche auch in entlegenen Regionen und die Ausbildung von Gesundheitspersonal, um Lepra rechtzeitig zu diagnostizieren, zählen daher zu den zentralen Elementen in der Lepra-Arbeit der DAHW. Daneben spielt auch die Forschung eine entscheidende Rolle. So investiert die DAHW beispielsweise gezielt in Forschungsprojekte des Armauer-Hansen-Forschungsinstituts (AHRI). Dieses wurde 1970 auf Initiative der norwegischen und schwedischen Save-the-Children-Organisationen und mit Unterstützung des äthiopischen Gesundheitsministeriums gegründet und nach Hansen benannt. Die DAHW fördert unter anderem AHRI-Projekte zur aktiven Fallsuche bei Kontakten von Lepra-Patient*innen oder der Implementierung der Lepra-Chemoprophylaxe („PEP4LEP“).


Lepra

Immer noch erkranken jedes Jahr mehr als 200.000 Menschen weltweit an Lepra, obwohl sie eigentlich längst als ausgerottet galt.

Lepra-Forschung

Die DAHW war in den 1980er-Jahren an der Entwicklung der Lepra-Therapie beteiligt und unterstützt auch heute noch Forschungsprojekte zur EIndämmung der Krankheit.

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