Philosoph und Medizinmann
Sollten seine Eltern und Freunde doch unverständig den Kopf schütteln. Sein Entschluss stand seit Jahren fest. Nach dem 30. Lebensjahr würde er seine bürgerliche Existenz als Gelehrter aufgeben und sich um Not leidende Menschen kümmern. Und jetzt war er über 30. Er wusste mittlerweile auch, wie die Hilfe aussehen sollte: Er wollte Arzt in Afrika werden.
Albert Schweitzers Entscheidung passte nicht in die konservative Gesellschaft des Deutschen Kaiserreiches, in die er 1875 hineingeboren worden war. Aufgewachsen in Günsbach im Elsass, schien sein Werdegang als Gelehrter vorherbestimmt. Er studierte wie sein Vater und Großvater evangelische Theologe und zusätzlich Philosophie. Er wurde Prediger, Vikar und schließlich sogar Professor, der, ergriffen von dem Gedanken der Nächstenliebe, in Straßburg Theologie lehrte. Doch nur darüber reden, war ihm nicht genug: Auch sein musikalisches Talent, das ihn zu einem international gefragten Orgelspieler und Bach-Interpreten machte, füllte ihn nicht aus. „Arzt wollte ich werden, um ohne irgendein Reden wirken zu können."
Albert Schweitzer fand Unterstützung in Helene Bresslau, die er 1912 heiratete. Sie ließ sich zur Krankenschwester ausbilden, um mit ihm nach Afrika zu gehen. Der Professor drückte unterdessen in Straßburg und Berlin wieder die Schulbank und studierte Medizin. 1913 war es schließlich soweit: Als Doktor der Medizin kam er mit seiner Frau in der französischen Kolonie Gabun in Äquatorial-Afrika an. Die Trommeln der Einheimischen verkündeten: „Der weiße Medizinmann ist da.“ Unweit von Lambarene am Ufer des Ogowe machte er sich an die Arbeit, ein Hospital zu errichten.
Es waren bescheidene Anfänge. Ein Hühnerstall wurde zum Behandlungsraum umgewandelt. Afrikaner halfen ihm, Hütten zu bauen. Auch ein erstes Lepradorf entstand. Der Erste Weltkrieg verhinderte dann jedoch die weitere Arbeit in Lambarene. Da Schweitzer und seine Frau deutsche Staatsbürger waren, wurden sie inhaftiert, erst in Afrika, dann in Frankreich.
Nach dem Krieg zog es ihn wieder nach Afrika. Daran änderte auch die Geburt von Tochter Rhena im Jahre 1919 nichts. Durch Orgelkonzerte und Vorträge in ganz Europa sammelte er Geld, um wieder in seinem Spital als Arzt zu wirken. Seine gesundheitlich angeschlagene Frau blieb mit Tochter Rhena in Deutschland. Einige Ärzte und Krankenschwestern halfen ihm jetzt in Lambarene. Der Alltag war bestimmt von klösterlicher Disziplin und harter Arbeit. Patient*inn mit Lepra, der Schlafkrankheit, Tuberkulose sowie Wöchnerinnen und viele andere mussten behandelt werden. Sie kamen zu Hunderten in das Spital.
„Wie ein Patriarch im Alten Testament“
Albert Schweitzer überwacht Bauarbeiten in Lambarene.Täglich machte Schweitzer einen Rundgang. Er sah sich in der Pflicht, für alle zu sorgen und alles zu regeln. „Mein Vater kam mir immer wie ein Patriarch im Alten Testament vor, mit seiner Sippe von schwarzen und weißen Menschen“, erinnert sich seine Tochter an ihre Aufenthalte in dem Hospital. „Und obwohl er unerbittlich sein konnte über die Art, in der er etwas getan haben wollte, nahm man das hin, denn er hatte dieses Lambaréné geschaffen.“
Seit den 1920er-Jahren führte Schweitzer ein zweigeteiltes Leben. Es war geprägt von der Arbeit in seinem Hospital, das er mehr und mehr ausbaute, und von längeren Aufenthalten in Europa, während denen er Konzerte gab, Vorträge hielt und Bücher schrieb. Unter anderem entwickelte er seine Ethik von der „Ehrfurcht vor dem Leben“. Seine Arbeit in Lambarene und seine humanistische Lehre wurden von Jahr zu Jahr bekannter. Nach dem zweiten Weltkrieg, den er in Afrika fast völlig isoliert überlebt hatte, wurden ihm zahlreiche Ehren zuteil. 1953 erhielt er seine höchste Anerkennung: den Friedensnobelpreis. Die Dotierung verwendete Schweitzer für den Bau eines neues Lepradorfes.
Monatelange Totentänze
Kinder holen sich ihr Mittagessen.Mit seiner zunehmenden Popularität fanden sich immer mehr Helfer in Lambarene ein. Sie wollten ihm nacheifern und sich wie er um Menschen in Not kümmern. 1963 kam Ary van Wijnen, der später medizinischer Direktor in Lambarene wurde und schließlich für die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe arbeite, in das Hospital. Auch der junge Medizinstudent war beeindruckt von Albert Schweitzer, der mit seinen 87 Jahren noch immer energisch für die „Ehrfurcht vor dem Leben“ eintrat: „Er war eine ruhiger Mensch, mit einem Sinn für trockenen Humor, doch er konnte auch zornig werden“, erinnert sich Van Wijnen. „Als einmal ein Afrikaner in Lambarene ein übel zugerichtetes Krokodil verkaufen wollte, packte Albert Schweitzer den Mann am Kragen und zog ihn fort von seinem Hospital.“
1965 starb Schweitzer in Lambarene im Alter von 90 Jahren. Er wurde neben seiner Frau, die 1957 gestorben war, auf dem Friedhof in Lambarene begraben. Drei Monate wurden immer wieder Totentänze getanzt, um den Menschen im Jenseits zu zeigen, was für ein bedeutender Mann zu ihnen kommt. Totentänze dauerten sonst kaum eine Woche.
Lambarene heute
Das 1913 gegründete Hospital ist noch immer eine private Institution. Es wird getragen von der „Internationalen Stiftung für das Dr. Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene“. Das Urwald-Krankenhaus nimmt jährlich Tausende von Patienten auf. Es umfasst unter anderem chirurgische und allgemein medizinische Abteilungen sowie eine Kinderklinik. Angegliedert an das Albert-Schweizer-Spital sind eine Zahnklinik und ein Labor, in der Malaria erforscht wird. In dem Lepradorf leben noch ehemalige Lepra-Patient*innen mit ihren Angehörigen