Der "Apostel der Aussätzigen"
Zu dieser Zeit forderte die Lepra zahllose Opfer auf den Hawaii-Inseln. Um die weitere Verbreitung der damals noch unheilbaren Krankheit zu stoppen, hatte die Regierung eine drakonische Maßnahme ergriffen: Alle mit Lepra infizierten Kranken wurden auf eine Landzunge der Insel Molokai deportiert, von der aus sie nicht entkommen konnten. In diesem natürlichen Gefängnis wurden sie ihrem Schicksal überlassen. Am 10. Mai 1873 landete auf Molokai ein junger Mann, der vom anderen Ende der Welt gekommen war: Pater Damian De Veuster sscc.
Pater Damian wurde als Joseph De Veuster am 3. Januar 1840 im flämischen Tremelo als siebtes von acht Kindern einer Bauernfamilie geboren. Zunächst besuchte er auf Weisung seines Vaters eine Handelsschule, trat dann jedoch nach dem Vorbild seines älteren Bruders August – der den Ordensnamen Pater Pamphil angenommen hatte – der Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzen Jesu und Mariens bei (in Deutschland bekannt unter dem Namen „Arnsteiner Patres“). Anfang 1859 begann er das Noviziat in Leuven und nahm den Ordensnamen Damian an.
1863 erkrankte Damians Bruder kurz vor der Abfahrt in die Mission nach Hawaii an Typhus. Da alle Vorbereitungen für die Reise bereits getroffen waren, erbat Damian vom Generaloberen die Erlaubnis, anstelle seines Bruders gehen zu dürfen. Am 19. März 1864 erreichte er Honolulu, wo er am 21. Mai 1864 zum Priester geweiht wurde. Bis 1873 wurde der junge Pater sodann als Seelsorger auf Hawaii, der größten Insel des Archipels, eingesetzt.
Die Mission der Ordensgemeinschaft sorgte sich sehr um das Schicksal der nach Molokai deportierten Aussätzigen, die unter unmenschlichen Bedingungen dahinvegetierten. Bei einer Zusammenkunft besprach der Bischof das Problem mit seinen Priestern. Er wollte niemanden im Gehorsam auf die Insel schicken, denn er wusste, dass eine solche Anordnung den sicheren Tod bedeutete. Vier Patres meldeten sich spontan und erklärten sich bereit, die Leprakranken abwechselnd zu besuchen und ihnen als Seelsorger beizustehen. Damian ging als Erster und blieb auf eigenen Wunsch für immer auf Molokai.
Nachdem er erste Berührungsängste überwunden hatte, begann er, sich um die Ausgesetzten zu kümmern. Er pflegte ihre Wunden, sorgte für Kleidung und Medikamente, legte Äcker und Gärten an und ersetzte die alten Grashütten durch neue Holzhäuser. Er scheute sich nicht, die Kranken zu berühren und mit ihnen zu essen. Er baute eine Kirche und feierte täglich die Heilige Messe. An seinen Bruder schrieb er: „Wenn ich predige, sage ich ‚wir Aussätzige’. Hoffentlich kann ich auch alle für Christus gewinnen wie der heilige Paulus.“
Pater Damian De Veuster sscc sollte 16 Jahre unter den Aussätzigen in Molokai leben und für sie der „Mann mit 36 Handwerken“ sein, wie ein amerikanischer Besucher ihn beschrieb. Er ist Gärtner, Wasser-Ingenieur, Schreiner, Verwalter und Vertreter der Abgeschobenen bei der Inselregierung. Mithilfe der Presse und zahlreicher Freunde wirbt er um Unterstützung in Europa und Amerika. Er baut ein Waisenhaus, gründet ein Orchester und zimmert selbst die Särge für die Verstorbenen. Vor allem aber ist er Seelsorger und Priester. Durch sein Wirken wurde aus der „Insel der Verdammten“ eine menschliche Siedlung, in der die Würde der Ausgestoßenen geachtet wurde.
1884 wurde festgestellt: Auch Damian hatte sich an der Lepra angesteckt. Er wurde selbst aussätzig und äußerlich aufs Schlimmste von der Krankheit entstellt. Trotzdem arbeitete er weiter, bis schließlich seine Kräfte nachließen. Am Montag der Karwoche, am 15. April 1889, starb Pater Damian im Alter von 49 Jahren. Er wurde neben der von ihm erbauten Kirche auf Molokai begraben. 1936 wurden seine Gebeine nach Belgien überführt und in der Krypta der Klosterkirche in Leuven beigesetzt.
Papst Johannes Paul II. hat 1995 Pater Damian in Brüssel seliggesprochen. Der 10. Mai ist seitdem sein Gedenktag, jener Tag, an dem er im Alter von 33 Jahren die Insel Molokai betreten und seinem Leben eine entscheidende Wende gegeben hatte. Der Gedenktag eines Heiligen ist im katholischen Heiligenkalender üblicherweise der Todestag, der zugleich die Vollendung des Lebens in der Liebe Gottes darstellt. In gewisser Weise markiert auch der Gedenktag Damians seinen vorweggenommenen und angenommenen Tod, aber wohl auch den Beginn eines neuen und erfüllten Lebens.
Kurz nach seiner Ankunft auf Molokai 1873 schrieb Damian an seine Eltern: „Ich finde mein größtes Glück darin, dem Herrn zu dienen in seinen armen und kranken Kindern, die von den anderen Menschen verstoßen werden.“ Das ist ihm allerdings nicht immer leicht gefallen. Die Briefe an seine Eltern, seinen Bruder und seine Oberen zeigen, dass er sehr gelitten hat, weniger an der zusehends fortschreitenden Krankheit als an Einsamkeit und Anfeindungen. 1886 schrieb er einem anglikanischen Geistlichen in London: „Ohne die beständige Gegenwart unseres Göttlichen Meisters auf dem Altar in meinen armen Kapellen hätte ich niemals mein Los bei den Aussätzigen auf Molokai durchhalten können.“ In diesen Zeilen wird spürbar, aus welcher Quelle er Kraft schöpfte. „Ich bin immer noch glücklich und zufrieden“, schrieb er wenige Wochen vor seinem Tod an seinen Bruder.
Die Nachricht vom Tod Pater Damians 1889 hatte weitreichende Auswirkungen. Zahlreiche Frauen und Männer traten seiner Ordensgemeinschaft bei, um als Missionare das Evangelium besonders unter den Armen und Ausgestoßenen zu verkünden. Und auch der Kampf gegen die Lepra wurde vom Wirken Pater Damians inspiriert. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte entstanden zahlreiche Organisationen, angefangen vom „Leprosy Fund“ in England (1889) bis zur „Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe“ (DAHW, 1957). Das Inselreich Hawaii ehrte Pater Damian 1961 mit einer Statue, die den Staat Hawaii im Kapitol in Washington vertritt.
Am 11. Oktober 2009 wurde Pater Damian de Veuster, „Apostel der Aussätzigen“, in einem feierlichen Pontifikalhochamt von Papst Benedikt XVI. heilig gesprochen.